Eine Verdachtskündigung ist eine spezielle Form der Kündigung durch den Arbeitgeber. Das Besondere ist, dass sie nicht nur bei erwiesenen Tatsachen, sondern bereits beim bloßen Verdacht einer Straftat oder schweren Pflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis erfolgen kann. Ein Beweis ist also nicht erforderlich. Eine Verdachtskündigung kann außerordentlich – also fristlos – oder als ordentliche Kündigung erfolgen. Meistens wird sie als außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Ein Arbeitnehmer wird dann regelmäßig auch zusätzlich noch ordentlich gekündigt für den Fall, dass sich die außerordentliche Kündigung später als unwirksam herausstellen sollte.
Eine Verdachtskündigung ist auch im Ausbildungsverhältnis möglich (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.02.2015 – 6 AZR 845/13).
1. Voraussetzungen einer Verdachtskündigung
Neben den üblichen Voraussetzungen einer außerordentlichen bzw. verhaltensbedingten Kündigung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine Verdachtskündigung wirksam sein kann. Dadurch soll der Gefahr vorgebeugt werden, einen unschuldigen Arbeitnehmer zu kündigen:
Objektiver und dringender Tatverdacht
Erforderlich sind dringende, schwerwiegende Verdachtsmomente bzgl. einer rechtswidrigen und schuldhaften Handlung des Arbeitnehmers. Die Verdachtsmomente müssen sich aus objektiven Tatsachen ergeben. Mit anderen Worten muss der Verdacht „erdrückend“ sein und es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er in der Sache zutrifft (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.10.2012 – AZR 700/11). Der Tatverdacht muss das Vertrauen des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer nachhaltig zerstören oder zu einer unerträglichen Belastung für das Arbeitsverhältnis führen und muss bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung bei Gericht fortbestehen.
Erheblichkeit des Pflichtverstoßes
Die vermeintlich begangene Tat muss erheblich gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen haben und so schwerwiegend sein, dass – sollte sie tatsächlich so vorgefallen sein – dem Arbeitgeber eine weitere Zusammenarbeit nicht zugemutet werden kann.
Kann dem Arbeitgeber die weitere Zusammenarbeit nicht einmal bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zugemutet werden, darf er die außerordentliche Verdachtskündigung aussprechen (Regelfall). Andernfalls erfolgt die Verdachtskündigung als ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist.
Beispiele:
- Diebstahl
- Betrug
- Beleidigung
- (Versuchte) Körperverletzung auf bzw. im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz
- Vermögensdelikte (hier muss der Schaden des Arbeitgebers nicht einmal hoch sein. Im Prinzip können sogar 5€ reichen, sofern das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört ist. Entscheidend sind aber immer die Umstände des Einzelfalls.)
- Sogar Straftaten, die außerhalb des Arbeitsplatzes begangen wurden, können die Verdachtskündigung rechtfertigen (das ist beispielsweise der Fall, wenn der Verdacht von Kindesmissbrauch im Raum steht und der Arbeitnehmer in einem Kindergarten/in einer Schule arbeitet. Oder Lkw-Fahrer, bei denen der Verdacht besteht, sich (mehrfach) wegen Trunkenheit am Steuer strafbar gemacht zu haben. Auch, wenn die alkoholisierten Fahrten privat erfolgten.
Negativbeispiel: langsames/fehlerhaftes Arbeiten
Ausschöpfung aller möglichen, zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen
Der Arbeitgeber muss alles ihm zur Aufklärung Zumutbare getan haben. Vorausgesetzt wird insbesondere eine Anhörung des Arbeitnehmers, damit dieser zum Vorwurf Stellung nehmen kann.
Diese soll als milderes Mittel zur Kündigung zu einer Verhaltensänderung des Arbeitnehmers führen und knüpft an ein bewiesenes Fehlverhalten an, bzgl. dessen der Arbeitnehmer zu künftig pflichtgemäßem Verhalten aufgefordert wird. Im Falle der Verdachtskündigung verfehlt die Abmahnung also ihre Funktion, Urteil des BAG vom 06.07.2000 – 2 AZR 454/99.
2. Weshalb ist die Verdachtskündigung zulässig?
Weil Grundlage der Verdachtskündigung nicht bewiesene Tatsachen, sondern ein bloßer Verdacht ist (s.o.), kann die Verdachtskündigung u.U. auch mal den „falschen“ Arbeitnehmer treffen.
Im Strafrecht gilt die Unschuldsvermutung, wonach die Gerichte Angeklagte ohne ausreichende Beweise nicht schuldig sprechen dürfen („Im Zweifel für den Angeklagten“ – bzw. „in dubio pro reo“). Dieser Grundsatz findet im Arbeitsrecht bei einer Verdachtskündigung allerdings keine Berücksichtigung. Dies hat vor allem den Grund, dass Unternehmen nicht wie die staatliche Strafverfolgung funktionieren: Der Staat kann sich insbesondere der Staatsanwaltschaft und der Polizei bedienen, um Straftäter zu verfolgen. In einem neutralen Verfahren der Anklage und vor Gericht bestehen demgegenüber gewisse Möglichkeiten, durch Beweise und Zeugen eine Straftat aufzuklären. Dem Arbeitgeber stehen nicht dieselben Möglichkeiten zur Aufklärung zur Verfügung.
Die Unschuldsvermutung wird im Arbeitsrecht insofern vom sog. „Prognoseprinzip“ überlagert, dass schon durch den Verdacht das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zerstört ist bzw. sein kann. Daher geht die Rechtsprechung davon aus, dass es dem Arbeitgeber in der Folge nicht mehr zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis fortzuführen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.08.1997 – 2 AZR 620/96).
3. Anhörung des Arbeitnehmers zum Verdacht
Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer zu dem – konkreten – Verdacht anhören. Ansonsten ist die Kündigung unwirksam. Üblicherweise muss er ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme geben, etwa durch Setzung einer Frist zur Aufklärung des Sachverhalts. Mit Hilfe der Stellungnahme – die nicht zwingend schriftlich erfolgen muss – soll es dem Arbeitnehmer ermöglicht werden, Gegenbeweise, Alibis oder sonstige stichhaltige Aussagen gegen den Vorwurf vorzubringen. So kann er diesen im besten Fall entkräften.
In der Regel soll der Arbeitgeber nicht länger als eine Woche mit der Anhörung warten (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 02.03.2006 – 2 AZR 46/05). Nur so scheint noch eine ausreichende zeitliche Nähe zum Verdachtsmoment gegeben zu sein, um dem Arbeitnehmer eine faire Möglichkeit zur Äußerung zu geben.
Nach dem Bundesarbeitsgericht muss der Arbeitgeber bei der Ladung zu einer Anhörung wegen eines Verdachts das Gesprächsthema nicht benennen; Dies wird damit begründet, dass andernfalls eine Verdunklungsgefahr bestehen könnte (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.02.2015 – 6 AZR 845/13).
4. Sperrzeit, Krankenversicherung, Unwirksamkeit der Verdachtskündigung
Bei der Verdachtskündigung handelt es sich um eine verhaltensbedingte Kündigung. Deshalb kommt es bei ihrem Ausspruch zu einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeld von zwölf Wochen. Für einen Monat dieser Zeit gilt der nachwirkende Krankversicherungsschutz aus dem Arbeitsverhältnis. Anschließend greift die gesetzliche (Kranken-)Pflichtversicherung.
Einige Sonderfälle sind zu beachten:
- Schwerbehinderte: Ein besonderer Kündigungsschutz besteht unter anderem für Schwerbehinderte (seit dem 01.01.2018: §§ 168 ff. des IX. Sozialgesetzbuchs).
- Schwangere: Auch Schwangere genießen bis vier Monate nach der Entbindung einen gesonderten Kündigungsschutz (seit 01.01.2018: § 17 Mutterschutzgesetz).
- Eltern in Elternzeit: Dies gilt auch für Arbeitnehmer in Elternzeit (§ 18 Bundeselterngeld und -Elternzeit-Gesetz).
In den genannten Fällen ist in aller Regel eine Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung und damit auch der Verdachtskündigung gegeben.
5. Das sollten Arbeitnehmer jetzt tun
Von einer Verdachtskündigung betroffene Arbeitnehmer sollten schnell handeln und einen auf Arbeitsrecht spezialisierten Anwalt aufsuchen.
Da die Verdachtskündigung auf Indizien und nicht auf Beweisen beruht, wird regelmäßig ein Vergleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer angestrebt. Das kann bedeuten, dass für den Arbeitnehmer eine größtmögliche Abfindung ausgehandelt oder statt der fristlosen Kündigung eine ordentliche Kündigung ausgesprochen wird. Durch eine kompetente arbeitsrechtliche Beratung und ggfs. gerichtliche Vertretung kann außerdem je nach Umständen eventuell eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld vermieden werden.
6. Fazit
- Die Verdachtskündigung stützt sich nicht auf erwiesene Tatsachen, sondern auf den bloßen Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung oder Straftat.
- Der Verdacht muss auf objektiven Tatsachen beruhen, dringend und schwerwiegend sein („erdrückender Verdacht“ bzw. große Wahrscheinlichkeit, dass der Verdacht zutrifft).
- Eine vorherige Abmahnung ist für die Verdachtskündigung regelmäßig nicht erforderlich.
- Die vorgeworfene Tat muss erheblich gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen und so schwerwiegend sein, dass dem Arbeitgeber eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann.
- Vor einer Verdachtskündigung muss der betroffene Arbeitnehmer zwingend zum Vorwurf angehört werden, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu bekommen.
- Gegen die Verdachtskündigung können Arbeitnehmer mittels der Kündigungsschutzklage vorgehen.