Vor allem in der Medizin ist Bereitschaftsdienst bekannt und wichtig. Aber auch in vielen anderen Fachbereichen leisten unzählige Arbeitnehmer Bereitschaftsdienst, denn in diesen Branchen kann ein schnelles Eingreifen notwendig sein, um Störungen oder Gefahren zu beheben und bestenfalls sogar abzuwenden.
Das Arbeitsrecht unterscheidet zwischen drei verschiedene Formen von Bereitschaft:
- Bereitschaftsdienst
- Rufbereitschaft
- Arbeitsbereitschaft
Während die Arbeitsbereitschaft kaum bekannt ist, wird der Begriff Bereitschaftsdienst von juristischen Laien oft auch als Synonym für die Rufbereitschaft verwendet. Da diese Bereitschaften aber wesentliche Unterschiede im Hinblick auf die Anerkennung als Arbeitszeit und auch ihre Vergütung vorweisen, ist eine eindeutige Unterscheidung wichtig. Nur so lernen Arbeitnehmer ihre Rechte kennen und können sie gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen.
Wie sich diese Arten der Bereitschaft unterscheiden, ob sie als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) zählen und wie sie vergütet werden, erfahren Sie in diesem Artikel.
1. Was versteht man unter Bereitschaftsdienst?
Wenn sichergestellt ist, dass die Arbeit unverzüglich auf Abruf aufgenommen werden kann, kann er – je nach Umständen des Einzelfalls – nach einem Urteil des EuGH aus dem Jahre 2018 den Bereitschaftsdienst sogar Zuhause ableisten.
Der Aufenthaltsort während des Bereitschaftsdienstes kann aber auch vom Arbeitgeber vorgeschrieben sein. Ist der festgeschriebene Aufenthaltsort der Betrieb, muss der Arbeitnehmer aber nicht zwingend an seinem Arbeitsplatz auf einen potentiellen Abruf warten, sondern kann sich innerhalb des Betriebs frei bewegen. In vielen Betrieben gibt es beispielsweise Aufenthaltsräume, in denen man lesen, schlafen, fernsehen oder im Internet surfen kann.
Wichtig ist nur, dass der Arbeitnehmer immer erreichbar und in der Lage ist, auf Abruf seine Arbeit aufzunehmen – und zwar unverzüglich. Beim Bereitschaftsdienst ist der Arbeitnehmer also insgesamt, vor allem durch die Regeln zu seinem Aufenthaltsort, relativ stark eingeschränkt.
Ein Beispiel für einen Arbeitnehmer im Bereitschaftsdienst ist der Arzt, der über Nacht, an Feiertagen oder am Wochenende im Krankenhaus bleiben muss und auf mögliche Patienten wartet. Bis tatsächlich ein behandlungsbedürftiger Patient auftaucht, kann der Arzt aber schlafen. Er wird dann zu gegebener Zeit geweckt oder angerufen bzw. „angepiepst“.
2. Abgrenzung zur Ruf- und Arbeitsbereitschaft
Sie ist weniger einschränkend als der Bereitschaftsdienst, weil sich der Arbeitnehmer grundsätzlich an einem Ort seiner Wahl aufhalten kann. In der Regel wird die Rufbereitschaft daher Zuhause abgeleistet. Der Arbeitnehmer muss lediglich auf einen möglichen Arbeitseinsatz eingestellt, jederzeit erreichbar und während der gesamten Zeit arbeitsfähig sein. Alkohol oder der Konsum anderer berauschender Mittel ist daher verboten. Auch Ausflüge können während dieser Zeit verboten sein.
Aufgrund der größeren Flexibilität belastet die Rufbereitschaft den Arbeitnehmer weniger als der Bereitschaftsdienst. Das gilt zumindest, solange er während der Rufbereitschaft nicht tatsächlich arbeiten muss.
Bestes Beispiel für die Arbeitsbereitschaft ist eine Verkäuferin, die gerade keine Kunden im Laden betreuen muss und auch keine anderweitigen Aufgaben zu erledigen hat. Dann muss sie warten, bis ein neuer Kunde in den Laden kommt, den sie beraten kann oder sich eine andere Aufgabe für sie ergibt. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wird die Arbeitsbereitschaft in „Zeiten wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung geleistet“.
3. Ist Bereitschaft Arbeitszeit?
Um die dauerhafte Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers zu erhalten, sind im Arbeitsrecht Höchstarbeitszeiten, Arbeitspausen und Ruhezeiten zu beachten: Dem Arbeitnehmer muss grundsätzlich eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden zwischen den Arbeitstagen gewährt werden. Zwischen Feierabend und dem nächsten Arbeitsbeginn müssen also mindestens elf Stunden ohne Unterbrechung liegen.
Für die Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften ist es von entscheidender Bedeutung, ob die Bereitschaft als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) einzuordnen ist oder nicht. Dies ist für die einzelnen Formen der Bereitschaft gesondert zu bewerten:
Bereitschaftsdienst
Die Einstufung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit war lange Zeit umstritten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Zuordnung schon vor den deutschen Gerichten bejaht. Seit dem Jahre 2004 ist aber auch in Deutschland die Zuordnung mehrfach bestätigt worden.
Selbst wenn der Arbeitnehmer also im Bereitschaftsdienst schläft oder fernsieht, zählt diese Zeit als ganz normale Arbeitszeit. Der Bereitschaftsdienst ist daher vollständig bei der Ermittlung der täglichen bzw. wöchentlichen Höchstarbeitszeit zu berücksichtigen.
Wegen der Zuordnung zur Arbeitszeit ist dementsprechend auch eine Ruhepause von elf Stunden nach dem Dienst einzuhalten.
Rufbereitschaft
Inwieweit eine Rufbereitschaft als Arbeitszeit zu bewerten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Lange Zeit wurde im deutschen Recht davon ausgegangen, dass die bloße Rufbereitschaft (also ohne einen Einsatz während dieser Zeit) nicht als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG anzusehen ist, sondern als Ruhezeit. Nur wenn der Arbeitnehmer tatsächlich zur Arbeit gerufen und zur Arbeitsleistung herangezogen wird, wurde diese Zeitspanne als Arbeitszeit gewertet.
Die Vereinbarkeit dieses Rechtsverständnisses mit den Vorgaben des Europarechts wird durch die neuere EuGH-Rechtsprechung zunehmend in Frage gestellt:
EuGH, Urteil vom 21.02.2018 – Az. C-518/15
Im Jahr 2018 hatte sich der EuGH erstmals ausdrücklich mit der Rufbereitschaft beschäftigt. Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein belgischer Staatsbürger hatte dagegen geklagt, dass ihm für seine Leistungen als freiwilliger Feuerwehrmann, insbesondere während seines Bereitschaftsdienstes zu Hause, kein Arbeitsentgelt gezahlt wurde. Im Rahmen seines Wach- und Bereitschaftsdienstes hatte er sicherzustellen, dass er die Feuerwehrkaserne bei normalem Verkehrsfluss in höchstens acht Minuten erreicht. Der EuGH entschied, dass die vom Kläger erbrachte Arbeitsleistung in Form des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit im Sinne des Unionsrechts zählt. Zur Begründung seiner Entscheidung stellt der Gerichtshof unter anderem darauf ab, dass die Möglichkeit, anderen Tätigkeiten nachzugehen, erheblich eingeschränkt würden.
EuGH, Urteil vom 09.03.2021 – Az. C-580/19
Diese Rechtsprechung wurde nun durch eine weitere Entscheidung des EuGH bestärkt. Wieder ging es um Fragen der Vergütung eines Feuerwehrmannes für die im Rahmen der Rufbereitschaft geleisteten Bereitschaftsdienste. Neben seiner regulären Dienstzeit musste der Beamte der Stadt Offenbach am Main regelmäßig Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft leisten. Während dieser Zeiten war er zwar nicht verpflichtet, sich an einem von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten. Er musste aber erreichbar und in der Lage sein, im Alarmfall innerhalb von 20 Minuten in seiner Einsatzkleidung und mit dem ihm zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug die Stadtgrenzen zu erreichen. Die Luxemburger Richter stellten klar, dass unter den Begriff „Arbeitszeit“ sämtliche Bereitschaftszeiten – einschließlich Rufbereitschaft – fallen, wenn die auferlegten Einschränkungen der Bereitschaft die Möglichkeiten, die Zeit frei zu gestalten und eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen.
Die Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung auf die deutsche Rechtspraxis sind noch nicht vollends absehbar. Schwierigkeiten dürfte vor allem die Frage mit sich bringen, wann eine Rufbereitschaft „erhebliche Beeinträchtigungen“ für den Arbeitnehmer zur Folge hat.
Sofern die Rufbereitschaft als Arbeitszeit einzuordnen ist, muss der Arbeitgeber Beginn und Ende der Rufbereitschaft aufgrund seiner Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ordnungsgemäß dokumentieren.
Arbeitsbereitschaft
Die Arbeitsbereitschaft ist zweifelsfrei als Arbeit im Sinne des ArbZG einzustufen.
Deswegen sind auch zusätzliche Arbeitspausen möglich bzw. (je nach Arbeitszeit) sogar vom Gesetz vorgeschrieben. Nur weil eine Verkäuferin eine Stunde auf Kunden gewartet hat und währenddessen nichts zu tun hatte, kann diese Zeit nicht als Pause von ihrer Arbeitszeit abgezogen werden.
4. Kann Bereitschaft die tägliche Arbeitszeit unbegrenzt verlängern?
Diese Möglichkeit besteht tatsächlich nahezu seit einer Neuerung, die 2004 in das Arbeitszeitgesetz aufgenommen wurde und nennt sich Opt-Out-Regelung.
Danach kann in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages in den Betriebs- oder Dienstvereinbarungen die tägliche Höchstarbeitszeit des Arbeitnehmers auch ohne Zeitausgleich auf über acht Stunden verlängert werden. In die Arbeitszeit muss dann aber regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fallen.
Voraussetzung ist außerdem, dass der Arbeitnehmer für diese Regelung seine schriftliche Einwilligung erteilt. Diese Einwilligung kann er auch jederzeit mit einer Frist von sechs Monaten schriftlich widerrufen (§ 7 Abs. 7 ArbZG).
5. Wie wird Bereitschaft vergütet?
Die Vermutung, dass der Bereitschaftsdienst wegen seiner Zuordnung als Arbeitszeit (voll) vergütet werden muss, ist falsch.
Dass der Bereitschaftsdienst durch die Gerichte als Arbeitszeit eingestuft wurde, ermöglicht daher keine Rückschlüsse auf seine Vergütung. Würde der Arbeitnehmer allerdings gar nicht bezahlt, würde der Arbeitgeber gegen das Gesetz verstoßen.
Bereitschaft ist für den Arbeitnehmer in der Regel weniger belastend als seine normale Arbeit, denn während dieser kann der Arbeitnehmer nicht schlafen oder fernsehen. Deshalb darf die Bereitschaft auch geringer vergütet werden als die normale Arbeitszeit.
Entscheidend für die Höhe der Vergütung sind der Arbeitsvertrag oder ein Tarifvertrag. Eine volle Vergütung ist aber selten.
Üblich ist eine Regelung dergestalt, dass sich die Bezahlung nach dem tatsächlichen Arbeitseinsatz berechnet. Geht man davon aus, dass der Arbeitnehmer in etwa die Hälfte der normalerweise erbrachten Arbeit geleistet hat, bekommt er pro Stunde, die er in Bereitschaft gearbeitet hat, die Hälfte seines üblichen Lohns. Hinzu kommen noch Nacht- Sonn- und Feiertagszuschläge. Solche Zuschläge gehören zum steuerpflichtigen Arbeitslohn.
Während der Rufbereitschaft bekommt der Arbeitnehmer regelmäßig eine Pauschale für diese Zeit. Die Pauschale soll seine Einschränkungen während der Rufbereitschaft ausgleichen. Kommt es tatsächlich zur Arbeitszeit in der Rufbereitschaftszeit, so wird diese normal vergütet. Überstunden, Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge können noch hinzukommen.
Die Arbeitsbereitschaft muss vom Arbeitgeber den Ausführungen entsprechend ebenfalls vergütet werden. In der Regel ist eine volle Vergütung angemessen – doch auch hier ist eine Ausnahme (geringere Vergütung) denkbar.
Hinweis: Weil das Mindestlohngesetz nicht zwischen Bereitschaft und „normaler“ Arbeit unterscheidet, sondern Mindestlohn für jede geleistete Arbeitsstunde zu zahlen ist, hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil aus dem Jahre 2016 entschieden, dass dem Arbeitnehmer auch für Bereitschaftszeiten zumindest der Mindestlohn gezahlt werden muss.
Dieses Urteil betrifft die Rufbereitschaft (wegen seiner Zuordnung als Ruhe- und nicht Arbeitszeit) aber insoweit nicht, wie der Arbeitnehmer nicht tatsächlich Arbeit leisten muss.
6. Fazit
- Es gibt drei Formen der Bereitschaft: Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft und Arbeitsbereitschaft.
- Als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG werden nur der Bereitschaftsdienst und die Arbeitsbereitschaft anerkannt.
- Die Rufbereitschaft ist nur insoweit Arbeitszeit im Sinne des ArbZG, als der Arbeitnehmer tatsächlich Arbeitsleistung erbringen muss.
- Die Höhe der Vergütung richtet sich nach dem Arbeits- bzw. Tarifvertrag.
- Arbeit in Bereitschaft darf geringer vergütet werden als „normale“ Arbeit.
- Der gesetzliche Mindestlohn gilt auch für Bereitschaftszeiten.