1. Wann spricht man von einer Beleidigung?
Nach der allgemeingültigen Definition im Strafrecht ist eine Beleidigung ein rechtswidriger Angriff auf die Ehre eines anderen durch die Kundgabe von Miss- oder Nichtachtung gegenüber einem anderen Menschen. Unter Ehre ist der Anspruch eines jeden Menschen auf Achtung seiner Persönlichkeit zu verstehen. Geschützt wird also das Interesse einer Person, nicht unter ihrem inneren Wert behandelt und beurteilt zu werden. Diese Definition hat schon das Reichsgericht mit seinem Urteil vom 1. Februar 1940 festgesetzt (BGH, Urt. v. 29.05.1951 – Az.: 2 St R 153/51 Rn. 4).
Hier kommt es immer auf den Einzelfall und die Umstände an. In einem Handwerksbetrieb herrscht z.B. ein rauerer Umgangston als in einem Büro, sodass die Maßstäbe für eine Beleidigung auf der Baustelle grundsätzlich etwas höher anzusetzen sind.
Weil in Deutschland die Meinungsfreiheit grundrechtlich verankert ist, kommt es entscheidend darauf an, die Grenze zwischen Kritik bzw. unglücklich formulierten Äußerungen zur Beleidigung zu ziehen.
Dies ist entsprechend der o.g. vergleichsweise offenen Definition nicht immer einfach. Auch eine begründete Kritik kann so geäußert werden, dass sie letztlich als Beleidigung einzustufen ist. Daher kommt es bei der Prüfung immer auf die Umstände des Einzelfalls an.
2. Abmahnung oder Kündigung wegen Beleidigung?
Mit Abschluss des Arbeitsvertrages gehen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer verschiedene Rechte und Pflichten einher. Die zwei Hauptpflichten sind die Erbringung von Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer und im Gegenzug die Zahlung einer Vergütung durch den Arbeitgeber.
Darunter fällt z.B. ein sorgsamer Umgang mit dem Eigentum des Arbeitgebers und auch ein rücksichtsvoller Umgangston im Betrieb. Beleidigt der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber, Kollegen oder ggf. auch Kunden, verstößt er gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht (BAG Urt. v. 18.12.2014 – Az.: 2 AZR 265/14 Rn. 15 ff.)
Die Beleidigung eines Vorgesetzten, eines Kollegen und auch eines Kunden kann deshalb zweifellos ein Grund für eine Abmahnung und auch für eine Kündigung sein. Natürlich sind immer die Schwere der Beleidigung und auch das Vorverhalten des Beleidigten relevant.
Aber nicht nur Beleidigungen im Sinne der o.g. Definition, sondern auch falsche Tatsachenbehauptungen oder ein respektloser Umgang verletzten die Nebenpflichten des Arbeitnehmers und können deshalb zu einer Abmahnung und Kündigung führen.
War der Arbeitnehmer bloß unhöflich ohne ehrverletzend zu sein, kann ihm zwar keine Beleidigung angelastet werden. Dann stellt sich aber die Frage, ob es sich um einmaliges Verhalten handelt oder bei der betroffenen Person zum alltäglichen Verhalten gehört.
Schon bei einmaligem unfreundlichem Verhalten müssen Arbeitnehmer in der Regel mit einer Abmahnung rechnen. Gehört ein solches Verhalten zur Tagesordnung des Arbeitnehmers, kann nach erfolgter Abmahnung u.U. sogar eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein.
Aus arbeitsrechtlicher Sicht relevant ist also nicht ausschließlich die Beleidigung als solche, sondern alles, was als Verletzung einer Nebenpflichtverletzung gewertet werden kann – und dazu gehört auch die Missachtung eines rücksichts- und respektvollen Umgangs.
3. Arbeitsrechtliche Konsequenzen einer Beleidigung
Je nach Umständen des Einzelfalls kommt eine ordentliche (fristgemäße) oder sogar eine außerordentliche (fristlose) Kündigung in Betracht. Anders als bei der fristlosen Kündigung bedarf es bei der ordentlichen Kündigung aber grundsätzlich erstmal einer Abmahnung durch den Arbeitgeber, damit diese wirksam ist.
Abmahnung
Bevor der Arbeitnehmer wirksam gekündigt werden kann, muss er abgemahnt worden sein, um sein Verhalten zu ändern. Das ergibt sich aus dem sog. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wonach der Arbeitgeber immer auf das mildeste Mittel zurückzugreifen hat.
Mittels einer Abmahnung wird der Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten so konkret wie möglich hingewiesen und ihm bei fortwährender Verletzung dieser Pflicht(en) (also weiterer Beleidigungen und Respektlosigkeiten) eine Kündigung angedroht.
Ordentliche Kündigung
Als Kündigung kommt – nach vorheriger Abmahnung – die sog. verhaltensbedingte Kündigung unter Beachtung der ordentlichen Kündigungsfristen in Betracht, wenn davon ausgegangen werden kann, dass sich der Arbeitnehmer auch zukünftig nicht angemessen verhalten wird.
Die ordentliche Kündigung ist ohne eine Abmahnung nur wirksam,
- wenn die Beleidigung so gravierend war, dass der Arbeitnehmer keinesfalls damit rechnen konnte, dass sie seitens des Arbeitgebers geduldet wird
- wenn der Arbeitnehmer ein pflichtgemäßes Verhalten ernsthaft und ausdrücklich verweigert und die Abmahnung deshalb aussichtslos erscheint.
Arbeitnehmer sollten also bei einer Kündigung zunächst einmal prüfen, ob sie vorher abgemahnt worden sind. Fehlt eine Abmahnung und ist keine der beiden Ausnahmen einschlägig, ist die Kündigung wahrscheinlich unwirksam.
Fristlose Kündigung
Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber können das Arbeitsverhältnis gem. § 626 Abs. 1 BGB wegen einer Beleidigung fristlos (ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist) kündigen.
Für eine fristlose Kündigung muss zwingend ein „wichtiger Grund“ vorliegen.
Zusätzlich muss dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Seiten eine weitere Zusammenarbeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar sein, weil der Betriebsfrieden so nachhaltig gestört ist.
Für eine wirksame außerordentliche Kündigung muss der Beleidigung dementsprechend ein besonders starkes Gewicht zu kommen.
Zu berücksichtigen sind insbesondere folgende Kriterien:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Schwere, Häufigkeit der Beleidigung
- Grund und Umstände der Beleidigung
- Affektsituation oder wohlüberlegte Situation
- Reueverhalten (erfolgt eine Entschuldigung oder wird das Verhalten vom Beleidigenden auch rückblickend als angemessen erachtet?)
- Vorherige Abmahnungen
- Bildungsgrad und psychischer Zustand des Arbeitnehmers
4. Was gilt für Arbeitnehmer mit besonderem Kündigungsschutz (z.B. Schwangere)?
Wer Sonderkündigungsschutz genießt, darf entweder gar nicht oder nur unter besonderen zusätzlichen Voraussetzungen gekündigt werden. Dadurch soll besonders schutzwürdigen Personengruppen ein besserer Schutz vor dem Verlust des Arbeitsplatzes gewährt werden. Das bedeutet aber nicht, dass Betroffene unter keinen Umständen gekündigt werden können, wenn sie sich (extrem) pflichtwidrig verhalten.
Wird der Arbeitgeber von einer Schwangeren massiv beleidigt, kann dies einen triftigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen, sodass ihr mit der vorherigen Zustimmung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde wirksam gekündigt werden kann.
Bei Schwerbehinderten ist die Einholung der vorherigen Zustimmung durch das Integrationsamt notwendig.
5. Fazit
- Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag verpflichten Arbeitnehmer und -geber dazu, auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Anderen Rücksicht zu nehmen.
- Beleidigungen und Respektlosigkeiten sind Pflichtverletzungen, die eine Abmahnung und ggf. sogar eine Kündigung zur Folge haben können. Diese sind allerdings zu unterscheiden von bloßer Kritik.
- Vor einer Kündigung muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in der Regel abmahnen.
- Bei schwerwiegenden Beleidigungen ist eine fristlose Kündigung möglich, wenn dem Kündigenden eine weitere Zusammenarbeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist.
- Mittels der Kündigungsschutzklage kann ein gekündigter Arbeitnehmer sich gegen eine Kündigung wegen Beleidigung innerhalb von drei Wochen wehren.