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Kündigung wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen arbeitsrechtliche Pflichten dar und kann eine fristlose Kündigung nach sich ziehen. Erfahren Sie hier, welche Verhaltensweisen als sexuelle Belästigung gelten, welche rechtlichen Konsequenzen drohen und wie Sie die Rechtmäßigkeit einer Kündigung überprüfen lassen können.

1. Was ist sexuelle Belästigung?

Definition nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) definiert sexuelle Belästigung in § 3 Abs. 4 AGG als „ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten“ dessen Zweck oder Wirkung es ist, „dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird“.

 

Dazu gehören:

  • Körperliche Übergriffe, z. B. unerwünschte Berührungen oder Küsse
  • Anzügliche Bemerkungen, z. B. Kommentare über das Aussehen oder sexuelle Anspielungen
  • Sexuelle Handlungen, z. B. das Zeigen von pornografischem Material
  • Aufdringliche Blicke, Starren oder Gesten
  • Unerwünschte Nachrichten, z. B. sexuell anzügliche E-Mails oder Chats

Das entsprechende Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird.

Es gibt also zwei Möglichkeiten:

  1. Entweder wurde die Würdeverletzung gezielt beabsichtigt.
  2. Oder das Verhalten hatte objektiv zur Folge, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wurde.

Entscheidend ist immer, dass das Verhalten unerwünscht ist. Selbst wenn der Täter es als harmlos empfindet, kann es dennoch als sexuelle Belästigung gewertet werden.

Eine Verletzung der Würde einer Person wird vor allem dann angenommen, wenn durch die Handlungen und Verhaltensweisen ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

Beispiele aus der Praxis

Folgend zwei Beispiele aus der Praxis, die verdeutlichen, dass sowohl verbale als auch körperliche Übergriffe als sexuelle Belästigung gewertet werden können.

Beispiel 1: „Necken“ oder doch verbale sexuelle Belästigung?

In diesem Fall wurde einem Produktmanager außerordentlich gekündigt, weil er eine Kollegin mehrfach verbal sexuell belästigt hatte. Der Mann klagte gegen die Kündigung mit der Begründung, es habe sich um harmloses „Necken“ gehandelt.

Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage ab und bestätigte, dass das Verhalten des Mannes die Würde der Mitarbeiterin verletzt habe. Bereits zuvor war er wegen eines ähnlichen Vorfalls abgemahnt worden, bei dem er einer Kollegin gezielt auf das Gesäß geschlagen hatte. Das Gericht betonte, dass schon dieser Vorfall eine Kündigung gerechtfertigt hätte. Die langjährige Betriebszugehörigkeit des Mannes wirkte sich nicht mildernd auf das Urteil aus (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10).

Beispiel 2: Griff in den Genitalbereich

In diesem Fall wurde einem Arbeitnehmer fristlos gekündigt, nachdem er einen Kollegen unerwünscht in dessen Genitalbereich berührt und dabei eine unangemessene Bemerkung gemacht hatte. Der Arbeitnehmer bestritt die Vorwürfe und argumentierte, dass sein Verhalten nicht sexuell motiviert gewesen sei.

Das Bundesarbeitsgericht stellte jedoch klar, dass ein unerwünschter Griff in den Intimbereich einer anderen Person unabhängig von einer sexuellen Motivation als sexuelle Belästigung gemäß § 3 Abs. 4 AGG zu werten ist. Das Gericht betonte, dass bereits ein einmaliger Vorfall dieser Art eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann, sofern die Gesamtumstände dies als angemessen erscheinen lassen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16).

2. Wann ist eine Kündigung wegen sexueller Belästigung rechtlich zulässig?

Doch unter welchen Voraussetzungen kommt es zu einer Kündigung wegen sexueller Belästigung? Wann ist sie rechtlich in Ordnung und wann angreifbar? Was rechtfertigt eine fristlose Kündigung des Arbeitnehmers, was nur eine Abmahnung bzw. ordentliche Kündigung?

Fristlose Kündigung gemäß § 626 Absatz 1 BGB

Eine fristlose Kündigung nach § 626 Absatz 1 BGB setzt voraus, dass ein schwerwiegender Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten vorliegt und dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Von Unzumutbarkeit kann ausgegangen werden, wenn das Vertrauen in den Arbeitnehmer durch das Fehlverhalten schwerwiegend und nachhaltig gestört ist.

Eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG stellt eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar (§ 7 Abs. 3 AGG). Laut Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eignet sich eine sexuelle Belästigung „an sich“ schon als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Absatz 1 BGB.

Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall jedoch zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist von den konkreten Umständen abhängig. Insbesondere sind ihr Umfang sowie ihre Intensität entscheidend.

Bei einer Beurteilung zu berücksichtigen sind somit etwa folgende Punkte:

  • Schwere der Tat: Körperliche Übergriffe und gravierende verbale Belästigungen rechtfertigen oft eine sofortige Kündigung.
  • Wiederholtes Fehlverhalten: Bei vorherigen Abmahnungen kann eine Wiederholung zur Kündigung führen.
  • Arbeitsumfeld: In sensiblen Bereichen (z. B. Gesundheitswesen) werden strengere Maßstäbe angelegt.
  • Beweisbarkeit: Aussagen von Zeugen, Videoaufnahmen oder schriftliche Nachrichten können die Entscheidung beeinflussen.

Ordentliche Kündigung oder Abmahnung?

Nicht jede sexuelle Belästigung führt automatisch zur fristlosen Kündigung. In manchen Fällen kann zunächst eine Abmahnung beziehungsweise sodann eine ordentliche Kündigung erfolgen.

Beispiele für abgestufte Reaktionen des Arbeitgebers:

  • Ein einmaliger anzüglicher Kommentar → Abmahnung
  • Wiederholte verbale Belästigungen → Abmahnung oder ordentliche Kündigung
  • Körperliche Übergriffe → Fristlose Kündigung

Die Entscheidung hängt von den oben genannten Beurteilungsgründen (Schwere des Fehlverhaltens) und der individuellen Betriebskultur ab.

Das Ermessen des Arbeitgebers ist insofern eingeschränkt, dass er die Benachteiligung durch sexuelle Belästigung nach § 12 Absatz 3 AGG wirkungsvoll zu unterbinden hat. Geeignete Maßnahmen sind also nur solche, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie eine Benachteiligung in der Zukunft verhindern.

3. Was können gekündigte Arbeitnehmer tun?

Kündigungsschutzklage einreichen

Wer eine Kündigung wegen sexueller Belästigung erhält, sollte umgehend juristischen Rat einholen.

Eine Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eingereicht werden. Erfolgt dies nicht fristgerecht, gilt die Kündigung als wirksam.

Eine Klage kann sich insbesondere dann lohnen, wenn keine vorherige Abmahnung erfolgt ist oder die Vorwürfe unzutreffend oder nicht ausreichend bewiesen sind. In einem Gerichtsverfahren wird geprüft, ob die Kündigung verhältnismäßig und rechtlich haltbar ist. Zudem besteht die Möglichkeit, eine Abfindung oder eine Wiedereinstellung zu erstreiten, falls die Kündigung als unwirksam erklärt wird.

Beweise, Gegenargumente und ggf. Entschuldigung

Generell gilt, dass Arbeitnehmer sich gegen eine Kündigung verteidigen können, indem sie:

  • Zeugen benennen, die die Vorwürfe entkräften
  • Chatverläufe oder E-Mails vorlegen, die die Situation anders darstellen
  • Widersprüche in den Anschuldigungen aufzeigen

Insbesondere, wenn es sich um eine falsche Verdächtigung handelt, sollte dringend anwaltlicher Beistand hinzugezogen werden.

Falls die erhobenen Anschuldigungen wahrheitsgemäß sind, kann eine aufrichtige Entschuldigung gegenüber der betroffenen Person sinnvoll sein. Einerseits ist dies eine angemessene menschliche Geste, andererseits kann eine Einsicht in das Fehlverhalten z.B. im Arbeitszeugnis positiv berücksichtigt werden, denn Arbeitgeber könnten dies als Zeichen der Reue und der Bereitschaft zu Verbesserung werten.

Sperrzeit beim Arbeitslosengeld vermeiden

Neben den direkten arbeitsrechtlichen Folgen kann eine Kündigung wegen sexueller Belästigung auch Auswirkungen auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Wer wegen sexueller Belästigung gekündigt wird, muss mit einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeld rechnen. Die Agentur für Arbeit kann eine Sperrzeit von bis zu 12 Wochen verhängen, da es sich um ein versicherungswidriges Verhalten handelt (§ 159 Absatz 1 SGB III). Während dieser Zeit wird kein Arbeitslosengeld gezahlt.

Eine Sperrzeit kann jedoch vermieden oder verkürzt werden, wenn nachgewiesen wird, dass die Kündigung ungerechtfertigt war oder kein grobes Fehlverhalten vorlag. Wer eine Kündigungsschutzklage gewinnt, kann rückwirkend seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend machen.

4. Rechte von Betroffenen sexueller Belästigung

Welche Rechte haben Betroffene sexueller Belästigung? Je nach Konstellation kommen insbesondere folgende Möglichkeiten in Betracht:

  • Beschwerderecht nach § 13 Absatz 1 Satz 1 AGG: Betroffene können sich beim Arbeitgeber oder einer internen Beschwerdestelle melden.
  • Leistungsverweigerungsrecht: Falls keine oder nur ungeeignete Maßnahmen ergriffen werden, kann unter Umständen die Arbeitsleistung nach § 14 Satz 1 AGG verweigert werden.
  • Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche gemäß § 15 Absatz 1 Satz 1 AGG: Gegebenenfalls können Betroffene Entschädigung und Schadensersatz vom Arbeitgeber geltend machen. Dies gilt jedoch nur insofern der Arbeitgeber die Pflichtverletzung zu vertreten hat.
  • Strafanzeige stellen: Falls ein strafrechtlicher Tatbestand erfüllt ist, kann zusätzlich eine Anzeige bei der Polizei erstattet werden.

5. Fazit

  • Sexuelle Belästigung ist eine schwerwiegende Pflichtverletzung und kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen.
  • Entscheidend ist, dass das Verhalten unerwünscht ist und die Würde der betroffenen Person verletzt. Selbst wenn der Täter das Verhalten als harmlos empfindet, kann es dennoch als sexuelle Belästigung gewertet werden.
  • Körperliche Übergriffe führen meist zur fristlosen Kündigung, während verbale Belästigungen erst abgemahnt werden können.
  • Beschuldigte Arbeitnehmer können innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine Kündigungsschutzklage einreichen. Im Kündigungsschutzverfahren können Beweise helfen, falsche Anschuldigungen zu entkräften.